WIRTSCHAFTSSPIEGEL – Ausgabe 6/23

Im Interview 13 Es gibt ein Bild von Ihnen, als Sie Ihre Ernennungsurkunde in Empfang genommen haben. Sie waren fröhlich und guter Dinge. Der Ministerpräsident stand neben Ihnen und schaute etwas – nennen wir es mal: indifferent. Wie ist Ihr Verhältnis zu Bodo Ramelow? Mein Verhältnis zu Bodo Ramelow würde ich als sehr gut bezeichnen. Erstens halte ich persönlich sehr viel von Bodo Ramelow. Ich erlebe ihn als einen ausgesprochen integren Menschen. Also ich habe großes Vertrauen zu ihm. Wenn Bodo Ramelow sagt: So machen wir es, dann macht er es auch so. Da spielt er immer mit sehr offenen Karten. Er ist natürlich enorm erfahren, leitet auch die Sitzungen gut. Und wir haben inzwischen auch persönlich häufig Kontakt. Wenn es Friktionen gibt, können wir uns direkt ansprechen, direkt anrufen oder direkt anschreiben. Welche Eigenschaften des Theatermanns Bernhard Stengele helfen heute dem Minister Bernhard Stengele? Theatermann ist wirklich die richtige Formulierung. Was mir ganz viel hilft, ist meine Erfahrung als Regisseur. Das heißt, dass ich einfach in einer Situation, die ich sehe, die verschiedenen Akteure innerhalb dieser Situation bemerke. Okay, der spielt die Rolle, der hat jetzt diesen Auftrag. Wie geht das? Wo kann man eingreifen, wo sollte man eingreifen? Das hilft mir sehr. Also auch mal von mir ein Stück weit abzusehen und zu fragen, was braucht die Gesamtsituation? Das ist, glaube ich, das, was mir am meisten hilft. Kommen wir mal zur Sache, also zu dem, was sie politisch zu verantworten haben: Umweltpolitik und Klimapolitik. Man redet immer vom Gegensatz von Ökonomie und Ökologie. Wenn man sich Umfragen ansieht: Bundesweit ist die Sorge um das Klima weitverbreitet. Wenn man sich dagegen Thüringer Umfragen ansieht, dann ist es den Leuten nicht ganz so wichtig. Vor allen Dingen nicht, wenn sie selbst davon betroffen sind. Also das Sankt-Florians-Prinzip oder „not in my backyard“, wie das jetzt neudeutsch heißt. Warum ist das so? Ich denke, was wir klarmachen müssen, ist, zu sagen, sind wir unterwegs. Das hat übrigens auch von Anfang an im Kabinett sehr gut geklappt mit meinem Kollegen, dem Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee. Wir haben da eine Verbindung, den Leuten klarzumachen, dass dieser alte Gegensatz Ökologie versus Ökonomie einfach nicht mehr stimmt. Wenn wir ökonomisch erfolgreich bleiben wollen - und das gilt sowohl für das Land, das gilt für die einzelnen Industrien, für die Wirtschaft und fürs Handwerk, gilt aber auch für jede einzelne Person - müssen wir die Sachen miteinander versöhnen, müssen wir Ökonomie und Ökologie zusammenbringen. Aber man muss klar sagen, dass wir da hier noch ganz viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben. Traurig. Auch im Bund hat im Moment der Klimaschutz an Bedeutung verloren. Da müssen wir dagegen arbeiten. Und zwar nicht, weil ich ein Grüner bin und ich denke, das ist das wichtigste Thema, sondern weil uns das Thema so sehr betrifft. Wenn man sich dieses Jahr anguckt, sieht man, wie das Klima, also wie die Temperaturerhöhung, Auswirkungen hat auf der ganzen Welt. Wir reden in Libyen von 10.000 Toten. 10.000 Tote weil ein Damm bricht. Warum? Weil es da ein Hochwasser gegeben hat. Und so weiter und so fort. Das heißt, es ist das Thema, das uns beschäftigen wird. Aber nicht das einzige. Es gibt Unmengen von Krisen, von Corona angefangen über den Krieg in der Ukraine bis hin zu den Energiepreisen, die durch die Decke gehen. Die Wirtschaft kriselt, die Leute – auch dazu gibt es Studien – fühlen sich mittlerweile überfordert und kommen dann meistens zu dem sehr kurzen Schluss: Leute, tretet mal ein bisschen auf die Bremse. Jetzt nicht alles auf einmal. Wie sehen Sie das? Also erst mal verstehe ich dieses Bedürfnis. Und zweitens hat es ganz oft auch Berechtigung. Aber wir haben Zeit verloren. Das muss man klar sagen. In den 16 Jahren davor ist zu wenig passiert. Aber wir können das nicht einfach nur einholen. Ich vergleiche das immer mit dem Marathonläufer. Wenn der sich verletzt - vier Wochen – dann kann er die Zeit, die er verletzt war, nicht einfach mehr trainieren. Das heißt, wir können nicht schneller sein, als wir sein können. Das klingt banal. Im Moment haben wir Probleme, Arbeitskräfte zu finden, Fachkräfte zu haben, die zum Beispiel die Solarplatten aufs Dach legen. Wir haben Probleme beim Netzanschluss. Hat jemand eine Solaranlage auf dem Dach, dann muss die aber ans Netz angeschlossen werden. Das müssen wir berücksichtigen. Das heißt, da müssen wir direkt aus der Praxis lernen. Das heißt, wir können die Schraube, wie schnell wir gerne wären, nicht immer weiter anziehen, sondern wir müssen es ständig abgleichen. Und das ist der Prozess, in dem wir gerade stecken. Wie viel Pragmatismus verträgt eigentlich Klimaschutz? Wir brauchen Pragmatismus, weil wir es nicht ohne die Leute schaffen können. Das heißt, wir müssen sie begeistern davon. Wir müssen in die Möglichkeiten geben, wir müssen es ein wenig niedrigschwellig machen. Das heißt, dass nicht jeder gleich ein Ingenieursstudium braucht, nur weil er sich eine Solaranlage aufs Dach macht, oder Verwaltungswissenschaften studieren muss, weil der Antrag so kompliziert ist. Da müssen wir unbedingt nachsteuern. Und wir können nicht schneller sein, als die Leute bereit sind mitzugehen. Das muss man ganz klar sagen. Das ist unsere Aufgabe, das so zu vermitteln, zu sagen: Hey, du hast was davon. Deine Energiepreise gehen runter, wenn du gut gedämmt hast. Oder wenn wir das Windkraft-Beteiligungs-Gesetz im Landtag haben. Dann muss klar werden, da steht nicht nur so ein blöder „Was mir ganz viel hilft, ist meine Erfahrung als Regisseur.“

RkJQdWJsaXNoZXIy NDE3NTI=